Noch immer kämpfen Menschen mit Behinderung in Deutschland um existenzielle Rechte und die Möglichkeit ihr Leben selbstbestimmt zu führen. Dabei werden ihnen viele Hindernisse in den Weg gestellt. Ein Leben als Bittsteller unter ständiger Kontrolle: hierzulande Alltag. All das sollte sich mit der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 ändern. Wirkliche Verbesserungen sind allerdings ausgeblieben.

Gerade wird im Bundesministeriums für Arbeit und Soziales an einem Bundesteilhabegesetz gefeilt. Die Bundesregierung beteuert, dieses Gesetz noch in der laufenden Periode in den Bundestag einbringen zu wollen. Bisher sah es dafür auch ganz gut aus. Insbesondere die Kommunen und Länder, welche im Bundesrat dem Gesetz zustimmen müssen, machten Druck. Neben den Verbänden der Menschen mit Behinderungen hatten sie ein finanzielles Eigeninteresse auf baldige Umsetzung. Es galt für sie, ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einzufordern: 5 Mrd. kommunale Entlastung im Zuge eines Bundesteilhabegesetzes.

Ausgerechnet Wolfgang Schäuble sorgte in der jüngsten Vergangenheit nun dafür, dass die Entlastung über andere Wege zustande kam. Der politische Druck zur zügigen Umsetzung fällt ab. Nun äußerte sich auch noch der Deutsche Landkreistag (DLT) und dessen Präsident Reinhard Sager überraschend empathielos zum anstehenden Gesetz – ein offener Brief:

Sehr geehrter Herr Sager,
sehr geehrte Damen und Herren,

wir, das sind Menschen mit Behinderungen, die ihr Leben in allen Bereichen so selbstständig und selbstbestimmt wie möglich führen, sind erzürnt über die Aussagen Ihrer Person und der Argumentation des Deutschen Landkreistages zum anstehenden Bundesteilhabegesetz.

Es klingt wie Hohn, wenn Sie einerseits bestätigen, das System im Interesse der Betroffenen weiterentwickeln zu wollen, und sich gleichzeitig dafür aussprechen, nicht nur nicht mehr Gelder für die Hilfen von behinderten Menschen ausgeben, sondern sogar noch die „heutige Kostendynamik bremsen“ zu wollen.

In der Praxis bedeutet das heutige System der Eingliederungshilfe: Entweder ein Leben auf Sozialhilfeniveau oder die Versagung von existenziellen Hilfen. Dass dieses System, welches den Betroffenen den Aufbau eigener Existenz unmöglich macht, als erpresserisch und diskriminierend empfunden wird, dürften auch Sie nicht verwundern.

Geradezu erschreckend ist es, wie das Gespinst vom Millionärs-Behinderten, die auf Kosten des Staats lebten, als Argument gegenüber Nichtbetroffenen aufgeführt wird. Sie sagen, es sei dem Steuerzahler nicht zu vermitteln, dass einkommensstarke und vermögende Menschen mit Behinderungen nicht in gewissen Maße zur Finanzierung der öffentlichen Leistungen beitragen sollen. Nach heutiger Gesetzeslage ist ein behinderter Mensch wohlhabend, wenn er den doppelten Hartz-4-Satz i.H.v. 2.600 Euro besitzt. Mehr wird ihnen gesetzlich ein lebenlang nicht zugestanden. Sie vergessen, dass auch Menschen mit Behinderungen selbstverständlich Steuern wie jeder andere Bundesbürger zahlen! Es ist bezeichnend, wie Sie damit automatisch Menschen mit Behinderungen als Nicht-Steuerzahler klassifizieren und gar nicht auf die Idee kommen, dass behinderte Menschen für ihren Unterhalt und die Finanzierung ihres Lebensstandards selbst aufkommen.

Wie die Forderung, nach einer Abschaffung dieser generalisierenden Diskriminierung eine unrealistische Erwartungshaltung sein könnte, ist daher unbegreiflich.

Die Anrechnung von Einkommen und Vermögen stellt eine zusätzliche, nur aufgrund der Behinderung erfolgende, Mehrbelastung für die Betroffenen dar. Auch im Jahr sieben nach der UN-Behindertenrechtskonvention bleibt dies ein wesentlicher Verstoß gegen Artikel 28 dieser Menschenrechte.

Wir bitten den DLT und Sie persönlich, sich solidarisch an unsere Seite zu stellen und gegenüber dem Bund wirkliche Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen und eine sachgerechte Zuständigkeit der Leistungsträger durchzusetzen. Auch wir sind bereit, uns dem Kampf um eine stärkere Entlastung der Kommunen anzuschließen.

Lassen Sie uns dabei aber nicht gegeneinander kämpfen, sondern Menschen mit Behinderungen zu den gleichen Rechten und Möglichkeiten verhelfen, wie allen anderen Bürgern dieses Staates auch.
Wir fordern aber vom DLT und Ihnen persönlich auch, sich mit der Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen auseinanderzusetzen und das Zeichnen vom Bild eines angeblichen Luxusbehinderten zu unterlassen. Persönliche Assistenz und ähnliche Hilfen sind lebensnotwendig und ein Übel, welches wir gerne in Kauf nehmen, um möglichst selbstständig leben zu können. Es ist aber herabwürdigend, nur aufgrund seiner Behinderung zu wissen, dass man nie in seinem Leben eine selbstfinanzierte Existenz aufbauen darf, obwohl man alles nötigte dafür tut!

Lassen Sie uns das ändern. Helfen Sie mit!

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