Selektive Intoleranz

Es gab mal ein kleines Zeitfenster, da dachte ich, dass regionale Newsportale eine rosige Zukunft vor sich hätten. Das jene Webseiten auch Qualitätsjournalismus anbieten könnten und dass sie, getrieben vom enthusiastischen Willen des einzelnen Redakteurs investigative und interessante Beiträge liefern könnten.
Kurz: All das, was gedruckte Wochenzeitungen nicht mehr tun.

Zumindest in Hameln-Pyrmont ist seit geraumer Zeit zu beobachten, dass dieses Experiment zumindest inhaltlich völlig gegen die Wand fährt.
Statt faszinierenden Artikeln aus dem breiten Spektrum des Lebens finden sich hier zumeist Berichte der örtlichen Polizei- und Feuerwehrstationen. Satt gut recherchiert und langfristig begleiteter Themen findet sich nur schäbigste Polemik getränkt mit ach so witzigen Wortspielerein. Und statt nachdenklichen Kommentaren nur billigste Stammtischparolen.

Auch wenn unsere heimischen Wochenzeitung DeWeZet mitunter häufig Sachzusammenhänge übersieht, Inhalte verdreht und auch ansonsten eben das provinzielle Blatt geblieben ist, bietet sie doch überraschend deutlich höhere Qualität und zielgerichtete Inhalte an, als es mit den Weserbergland-Nachrichten.de der Fall ist.

Ja, ich hätte schon damals über den an bürgerlicher Entrüstung über die gesellschaftliche Akzeptanz von Queer nicht übertreffbaren Kommentar „Conchita ist mir wurscht“ schreiben können. Hab‘ ich aber nicht, weil ich bei so viel Oberflächlichkeit keinen Sinn in einer tiefgreifenderen Auseinandersetzung sehe. Aber über den heute erschienen Artikel zum Thema „Leichte Sprache“ muss ich dann doch ein paar Sätze verlieren. Nicht weil es mich sonderlich aufregt, dass im konservativen Lager Freude herrschen dürfte, wenn mal wieder über DAS gesellschafseinende Projekt dieser Generation schlecht berichtet wird, sondern weil man an diesem Beispiel gut beobachten kann, was passiert, wenn Hobby-Gesellschaftskritiker über den Inhalt von Inklusion debattieren wollen, aber absolut keinen blassen Schimmer von dieser haben.

Oder, um es in den Worten des Verfassers auszudrücken, mit „leidenschaftlich zur Tugend […] gepflegten, selektiven Intoleranz“ betrachtet.

Aber worum geht es eigentlich?

Das Forum Inklusion Hameln-Pyrmont kümmert sich darum, Inklusion im Weserbergland voranzutreiben. Zu diesem Zweck findet demnächst auch eine Veranstaltung zum Thema „Leichte Sprache“ statt. Herr Lorenz, seines Zeichens „Chefredakteure“ sah sich genötigt, dazu einen Kommentar zu verfassen: „‚Leichte Sprache‘, schwere Sprache. Eine sich selbst parodierende Einladung zu einer Sprachrunde mit dem Ziel eines Runden Tisches“

Jaja, ich gebe zu, der Flyer ist nicht in „Leichter Sprache“ verfasst. Was mitunter vielleicht daran liegen könnte, dass vor allem Verwaltungen und staatl. Institutionen angesprochen werden sollen und Menschen, die „Leichte Sprache“ zum Verständnis benötigen ja nicht erst in dieser Unterrichtet werden müssen, weshalb für diese die Veranstaltung zumindest vermeintlich nicht wirklich interessant sein dürfte. Aber geschenkt, wenn dieser Umstand Herrn Lorenz das Verfassen eines Kommentares wert ist und er gleichzeitig die mitunter berechtigten Inhalte anderer Kommentare herabwürdigt, ist mir das ziemlich egal – jedem seinen Spaß.

Integration ≠ Inklusion

Was aber nicht geht, sind einerseits unsägliche Unterstellungen, Beleidigung ehrenamtlich Tätiger und das Aufzeigen völligen Unwissens über das Thema Inklusion.
Nein, Herr Lorenz, Inklusion ist eben nicht Einbeziehung, wie Sie es gerne übersetzt wissen würden. Schaut man sich die Bedeutung von „einbeziehen“ genauer an, versteckt sich dahinter das genaue Gegenteil von Inklusion. Wiktionary sagt dazu:

Bedeutungen:
[1] trennbar, transitiv: jemanden oder etwas zu einer Gruppe rechnen, in eine Gruppe hineinnehmen

Jemanden einer Gruppe zurechnen ist aber nicht die Erkenntnis, die Inklusion verbreiten möchte, nämlich das jeder Mensch völlig unterschiedlich und individuell ist und daher keiner Gruppe zugesprochen werden kann. Oder um es auch für Herrn Lorenz in „Leichter Sprache“ auszudrücken: Hören Sie gefälligst auf Menschen in Schubladen zu stecken. Aber genau das pflegen Sie ja allzu gerne als Tugend …

Synonyme für „einbeziehen“ sind übrigens „[2] berücksichtigen, integrieren, aufnehmen“. Spätestens hier wird klar, das „einbeziehen“ eben nicht inklusiv sein kann. Und da ich in der Annahme, dass Herr Lorenz den Unterschied zwischen Integration und Inklusion noch nicht so wirklich verstanden hat, mache ich es ihm nun besonders einfach. Herr Lorenz, bitte schön, extra für Sie, hier nochmals eine einfache Grafik, die Ihnen verdeutlichen sollte, was Inklusion bedeutet:

Schritte_zur_Inklusion.svg

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Beeinträchtigt ist jeder

Aber gehen wir weiter im Text. Im Anschluss echauffiert sich Herr Lorenz darüber, dass es im Einladungstext heißt, Menschen mit Beeinträchtigungen müssten den Inhalt verstehen können. Ja, Herr Lorenz ist noch einer dieser Menschen, der scheinbar davon ausgeht, dass es auch Menschen ohne Beeinträchtigungen gäbe, da er für diese diskriminierte Randgruppe unserer Gesellschaft sogleich ebenso das Recht auf Verstehen von Sachverhalten einfordert. Er tut das so, als können „normale“ (! ?) Menschen Texte in „Leichter Sprache“ nicht verstehen.

Interessanterweise widerspricht er sich aber sogleich, als das er die Einschränkung auf Menschen mit Beeinträchtigungen eben so als zu eng betrachtet aber gleichzeitig als zu weit, da er in der Formulierung „Menschen mit Beeinträchtigung“ eine Beleidigung gegenüber Rollstuhlfahrern sieht, da diese ja nicht auf „Leichte Sprache“ angewiesen seine. Herr Lorenz, a) warum soll es Ihrer Meinung nach keine Menschen im Rollstuhl geben, der neben der körperlichen Beeinträchtigung außerdem noch Schwierigkeiten im Verständnis mit unserer Sprache hat? Warum bedienen Sie sich eigentlich immer nur der stupidesten Schemata? Für Sie ist wahrscheinlich jeder Rollstuhlfahrer querschnittsgelähmt, jeder Mensch mit Blindenstock komplett sehunfähig und Menschen mit einer geistigen Behinderung unfähig beruflich Karriere zu machen, oder? Und b), warum scheinen Sie Beeinträchtigung nur auf körperliche Eigenschaften zu beziehen. Sie selbst sind das beste Beispiel dafür, dass auch sozialempathische Eigenschaften eine Beeinträchtigung im Alltag mit sich bringen können, nämlich dann, wenn man nicht fähig ist einen Inhalt differenziert zu betrachten.

Herr Lorenz

Herr Lorenz, bevor Sie beim nächsten mal wieder widerwärtigsten, kleinbürgerlichen Populismus verbreiten, nehmen Sie sich bitte nicht Ihren Hund als Beispiel, wenn Sie schreiben:

Da hat sich der Verfasser dieser Zeilen vollends in die Ecke geschmissen – zu seinem Hund, der das beste Sprachtraining bietet. Er reagiert nur auf einfache Worte – und hinterschnuppert sie, wenn’s sein muss. Mit dem richtigen Riecher für einfache Wahrheiten.

Denn viel zu häufig sind eben diese „einfachen Wahrheiten“ jene, die nicht nur einfach gestrickt, sondern völlig falsch sind.

Update 05.06.14:

Herr Lorenz hat sich heute dankenswerterweise auf seinem Blog in seinen Weserbergland-Nachrichten.de zu meinem gestrigen Kommentar zu Wort gemeldet. Gerne verlinke ich den Beitrag, so, wie man das richtigerweise im Internet macht. Damit wäre im Übrigen schon einmal ein Argument entkräftet, nach dem ich dem werten Leser hier irgendetwas vorenthalte.

Nun aber zum Hauptaufreger:
Herr Lorenz meint wohl, ich unterstelle ihm fehlendes Inklusionswissens nur aufgrund einer Tatsache, nämlich, dass er das Wort „einbeziehen“ zum Übersetzen des Wortes Inklusion gebraucht. Ja, Herr Lorenz verwendet außerdem das Wort „Teilhabe“. Nun aber die spannende Frage, warum das aus meinen Augen nicht ausreicht: Zunächst unterscheiden sich die beiden Wörter schon in der Aktivität bzw. Passivität. Einbezogen kann nur werden, man macht es nicht selber. Nur ein Dritter kann eine Person einbeziehen. Bei Teilhabe bleibt dies weitgehend offen, da beide Seiten aktiv an dem Prozess der Teilhabe mitwirken können. Aber selbst das Wort „Teilhabe“ reicht zum Beschreiben der Inklusion nicht aus. So ist es, gerade aus der Sicht der Betroffenen und ihren Verbänden, von enormer Wichtigkeit weitere Eigenschaften hinzuzuziehen. Eine reine Teilhabe als Übersetzung reicht deshalb nicht aus, weil damit keine Qualität der Teilhabe ausgedrückt wird. Einem behinderten Kind sollte es natürlich nicht genügen „einfach nur“ am Schulunterricht an einer Regelschule teilzunehmen / teilzuhaben, sondern es bedarf weiterhin natürlich eine für das Kind entsprechend zugeschnittene Förderung und Ausrichtung des Unterrichts, um nur ein Beispiel zu nennen. In den wenigsten seriösen Erklärversuchen des Wortes „Inklusion“ fehlt daher auch beispielsweise das Adjektiv „selbstbestimmt“, was nochmals die Eigenständigkeit und Aktivität des Betroffenen selber symbolisiert.

Besonders wichtig ist aber eine detaillierte Beschreibung deshalb, weil „Teilhabe“ auch schon zu Zeiten der „Integration“ fester Bestandteil der Begriffsdefinition war und daher die alleinige Übersetzung des Begriffs „Inklusion“ durch die beiden Wörter „einbeziehen, Teilhabe“ nicht genügt. Im übrigen zeigt das auch ganz deutlich, warum es eben für viele Wörter nicht einfach ist, eine Übersetzung in „Leichter Sprache“ zu finden, was auf der einen Seite die Notwendigkeit einer Veranstaltung zeigt, auf der anderen Seite aber auch darstellt, warum man Fachbegriffe oder feststehende Bezeichnungen in „fachlichen“ Meinungsstreits nicht ohne weiteres austauschen sollte. Deswegen, muss ich Ihnen auch eine Übersetzung in einem oder zwei Wörter schuldig bleiben, da ich mir das nicht zutraue, zumindest solange nicht, wie ich nicht entsprechende Veranstaltungen besucht habe.

Das Herr Lorenz google also auch bedienen kann und dies eindrucksvoll in der Auflistung von Institutionen, die die Wörter „Einbeziehen“ und „Teilhabe“ in ihren Erklärungsversuchen verwenden, zeigt, mag bemerkenswert sein. Schade ist allerdings, dass Herr Lorenz bei seiner Recherche nicht auch auf die Diskussionen rund um den Begriff der Inklusion, der UN-Behindertenrechtskonvention und Integration im Zusammenhang mit der sogenannten Schattenübersetzung mit Begründung gestoßen ist.

Um nochmal zu verdeutlichen, wie schwierig es mitunter sein kann, das Wort Inklusion in „Leichte Sprache“ zu übersetzen, zitiere ich von der Hompage der Behindertenbeauftragten des Bundes in „Leichter Sprache“:

Menschen mit Behinderung haben das Recht
auf Teilnahme am Leben in ihrer Gesellschaft.
Sie müssen nicht darum bitten.
Es ist kein Geschenk.
Es ist ihr Recht.
Das steht so auch in der UN-Konvention.

Alle Menschen haben die gleichen Rechte:
Das Recht zu leben,
das Recht zu lernen,
das Recht zu arbeiten.
das Recht zu wohnen, wo sie möchten.
Zu diesen Rechten sagen wir auch:
Menschen-Rechte.

In der UN-Konvention steht:
Die Menschen-Rechte gelten auch für Menschen
mit Behinderung.
Menschen mit Behinderung haben das Recht
überall hin zu kommen.

Sie haben das Recht zu lernen,
das Recht zu arbeiten,
das Recht in der Politik mit zu arbeiten.
Menschen mit Behinderung haben
die gleichen Rechte
wie alle anderen Menschen.
Sie müssen genau so behandelt werden.

Ganz wichtig ist:
Menschen mit Behinderung
gehören von Anfang an mitten in die Gesellschaft.

Dazu sagt man auch: Inklusion.

Viel interessanter ist aber, wie Herr Lorenz seinerseits wiederum, nicht einmal ansatzweise auf die viel entscheidenderen Kritikpunkte eingeht und dies wiederum „böswillig“ (?) seinen Lesern vorenthält. Wieso unterscheiden Sie zwischen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung? Wo fängt für Sie eine Beeinträchtigung an? Warum setzen Sie in einer Aufzählung Lesben, Homosexuelle und Transvestiten mit Zombies gleich? Warum soll es keine Rollstuhlfahrer geben, die „Leichte Sprache“ zum Verständnis benötigen? Und sind Menschen, die nach ihrer Definition keine Beeinträchtigung haben und für die sie auch das Recht auf „Leichte Sprache“ einfordern nicht dann auch beeinträchtigt?
Warum gehen Sie nicht auf die Erklärung, warum der Flyer (und damit der gesamte Ausgangspunkt) nicht in „Leichter Sprache“ verfasst wurde, ein?

Und was mich besonders brennend interessiert, was alles umfasst Ihre selektive Intoleranz?

Vielleicht fragen Sie sich aber auch zwischenzeitlich, warum ich eigentlich in diesem, in Ihrem, Ton auf den eigentlich belanglosen Kommentar eingegangen bin? Nun, ich kann und will es nicht akzeptieren, dass Sie ehrenamtlichen und engagierten Menschen aus diesem Landkreis unter die Nase reiben, dass sie nicht wüssten, was sie täten; dass sie sich aufgrund einige Formulierung zu wichtig oder eine Nummer zu groß sähen; dass Sie ein aus Ihren Augen nicht mehr zeitgemäße Aufmachung des Flyers als „belanglosen Sozialarbeiter-Augenpulver“ bezeichnen (Exkurs: gut das ich nicht darüber urteilen muss, wie zeitgemäß ihr Internetauftritt ist);dass Sie dem Forum Unglaubwürdigkeit unterstellen; dass Sie die Verfasser des Flyers am Liebsten auf der Stufe mit einem Hund sähen.

Nein Herr Lorenz, dass muss ich nicht akzeptieren. Wenn Sie grundlos, aus einer Laune heraus, ein hoch engagiertes Forum in den Dreck ziehen wollen, dann machen Sie das. Aber dann bitte benennen Sie die politisch Verantwortlichen. Diese müssen es nun einmal abkönnen, was Sie wöchentlich an „Journalismus“ verbreiten, ansonsten wären sie fehl am Platz. Aber ich lasse es nicht zu, dass Arbeit von unpolitischen, engagierten Personen so zunichte gemacht wird und Motivation genommen wird.

Und Herr Lorenz, nur wenn ich Ihnen sage, dass ich Ihre Meinung für völlig falsch und deplatziert halte, heißt das nicht, dass ich etwas gegen Andersdenkende hätte. Wenn Sie dem Forum vorwerfen, eine Nummer zu groß zu backen, dann brauchen Sie nicht mit der Meinungsfreiheits-Keule zuschlagen. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich mich in einer demokratischen Partei engagieren könnte, wenn ich nicht die Meinung anderer akzeptieren könnte? Ich darf sie aber befremdlich finden.

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