Heute entfachte eine interessante Diskussion auf Twitter zwischen Julia Probst aka @EinAugenschmaus, Laura Gehlhaar aka @LauraGehlhaar (welche Mitarbeiterin bei dem tollen Projekt “Leidmedien” ist) und mir aka @conny_flix. Allein weil die Diskussion höchst sachlich und respektvoll auf Twitter (!) abgelaufen ist, ist eine Erwähnung wert.
Aber worum ging es eigentlich?
Letztlich ging es um die Frage, welcher sprachliche Gebrauch am ehesten geeignet ist, um einen Menschen zu beschreiben, der eine Behinderung hat bzw. durch die externen Rahmenbedingungen behindert wird.
Dazu muss man wissen, dass der wohl zurzeit politisch korrekte Begriff „Mensch mit Behinderung“ ist, der die Bezeichnung „behinderter Mensch“ ablöst bzw. bereits abgelöst hat. Nun stellt sich mir aber grundsätzlich die Frage, wo der Unterschied in den beiden Begriffen ist. Natürlich wird ein Linguist mir eine Menge von Unterschieden nennen können. Mir geht es aber um den praxisrelevanten Unterschied im Alltag. Julia Probst ist beispielsweise der Meinung, dass der Begriff „behinderter Mensch“ die Behinderung in den Vordergrund stelle und eher auf einen medizinischen Kontext verweist, hingegen „Mensch mit Behinderung“ klar machen würde, dass etwaige Probleme nicht an dem Menschen festzumachen sind, sondern an den Barrieren, die die Gesellschaft und das externe Umfeld aufbaut. Das kann man so sehen. Meiner Meinung nach kann man das aber auch anders sehen.
Persönlich stellt für mich „Mensch mit Behinderung“ die der Person anhaftende Behinderung viel stärker in den Vordergrund und von meinem eigenen sprachlichen Gefühl eben nicht so einfach offenlässt, ob diese Behinderung erst durch äußeres Einwirken hervorgerufen wird. Das liegt vor allem daran, dass der „Mensch mit Behinderung“ im Alltag noch nicht so gebräuchlich ist wie „behinderter Mensch“ und im Übrigen meiner Meinung nach sperriger ist. Alleine dadurch, dass dieser sperrige Begriff vielen Menschen neu ist oder eben durch seine Sperrigkeit auffällt, wird die Behinderung viel stärker in den Vordergrund gestellt. Natürlich muss das keine Entschuldigung dafür sein, dass man einen Begriff nicht ablöst.
Adjektiv vs. Nominalisierung
Dazu wurde auf Twitter auf „Mensch mit Migrationshintergrund“ verwiesen. Dieser Begriff löst ja auch den Begriff „Ausländer“ als korrekte und respektvolle Bezeichnung jener Menschen ab. Allerdings ist dieses Beispiel kein geeigneter Vergleich, da der Gegenpart zu „Ausländer“ „Behinderter“ wäre. Da es aber für „Migrationshintergrund“ kein mir bekanntes, deckungsgleiches Adjektiv gibt, kann man keinen Vergleich zu „behinderter Mensch“ anstellen. Insofern stellt sich dann auch die Frage, ob die Verwendung eines Adjektivs diskriminierender ist, als das gleiche Wort als nominalisiertes Merkmal zu verwenden.
Darüber hinaus lässt, zumindest für mich, „behinderter Mensch“ viel mehr Offenheit für eine Interpretation. Gerade diese Offenheit ist aber vonnöten, um in entsprechenden Kontexten zu unterscheiden, ob die Behinderung ein Makel des entsprechenden Menschen ist oder aber dieser Menschen nur extern behindert wird. „Mensch mit Behinderung“ grenzt dies zumindest in meinem Sprachgefühl eher ein, da ich eher geneigt bin, die Interpretation hin zu dem Menschen anhaftenden Makel zu betreiben. Das liegt mit Sicherheit an dem Wort „mit“ zusammen. Der Mensch trägt quasi die Behinderung, er nimmt sie „mit“. Das ist bei „behinderter Mensch“ offengelassen.
Toleranz
Letztlich spielt das aber für mich absolut keine Rolle und ich würde mir wünschen, dass hier mehr Toleranz gegenüber Dritten herrschen würde, ohne dass ich unterstellen möchte, dass von den an der Diskussion Beteiligten diese Toleranz vermisst wird. Meine Priorität liegt dabei eindeutig an einem pragmatischen Umgang mit Dritten. Beide Begriffe können, sofern es gewollt ist, diskriminieren. Im Übrigen stigmatisieren beide Begriffe, da sie immer deutlich machen, dass der konkrete Mensch anders ist und daher ja überhaupt einer der Begriffe gewählt werden muss – unabhängig davon, ob dies extern hervorgerufen wird oder nicht. Die einzige Frage, die sich einem Dritten dann stellt, ist, wie die jeweilige Begrifflichkeit beim objektiven Empfängerhorizont ankommt. Allein durch die Tatsache, dass sich hier scheinbar zwei direkt Betroffene nicht einig sind, welcher Begriff nun weniger diskriminierender und respektvoller ist, zeigt, dass es für den Dritten gar nicht möglich ist, die richtige Form zu finden – zumindest so lange, wie sich die Betroffenen selbst nicht geeinigt haben. Deswegen würde ich die Verwendung eines dieser Begriffe einem Dritten nie zu dessen Nachteil auslegen.
Ich bin mir auch bewusst, dass ich selber den Begriff „Mensch mit Behinderung“ verwende und damit vermeintlich meine eigenen Vorbehalte diesem Begriff gegenüber ignoriere. Von in der Materie steckenden Personen erwarte ich das auch, gerade im politischen Kontext. Dies tue ich aber, weil ich mir bewusst bin, dass einige Menschen diesen Begriff für geeigneter empfinden und er derzeit vermeintlich die politisch korrekte Bezeichnung ist. Das bedeutet aber nicht, dass ich jedem Dritten eine Beschränkung in der Verwendung einer dieser Begriffe auferlegen möchte. Vielmehr halte ich es in einer (gewünschten) inklusiven und damit pluralisierten Gesellschaft ausdrücklich für wünschenswert, wenn es unterschiedliche Empfindungen und Interpretationen von Sachverhalten gibt. Dabei ist, wie ich es oben bereits erwähnte, der Kontext der Verwendung eines jeden Begriffs entscheidend. Die Frage, ob aber ein derzeit politisch korrekter Begriff der richtige ist, muss aber zulässig sein.
Im Wandel der Zeit
Sprache befindet sich immer im Wandel und verändert sich unerlässlich. Was heute jene Bedeutung hat, kann morgen eine ganz andere Konnotation erhalten. Wurde gestern auf den Schulhöfen dieser Nation „Krüppel“ als Beleidigung benutzt, ist es heute „Behinderter“ und morgen gar „behinderter Mensch“. Spätestens wenn der Begriff „Mensch mit Behinderung“ auf den Hinterhöfen angekommen ist, wird es Zeit für einen neuen Begriff. Ich schlage schon jetzt „verbehinderter Mensch“ vor. Er drückt noch deutlicher aus, dass der Mensch durch die Umgebung behinderter wird. Dass alleine das Ungewöhnliche an dem Begriff auf ein Anderssein hinweist, ist mir bewusst. Genauso, wie ich es derzeit mit „Mensch mit Behinderung“ im Alltag empfinde.
Ich stelle nicht die Forderung an mich, es allen recht zu machen. Das geht auch gar nicht. Deswegen erwarte ich es von anderen auch nicht.
Welcher Begriff?
Die Lösung kann nur sein, dass es nicht mehr relevant ist, auf Unterschiede hinzuweisen. Bis dahin frage ich: Welcher Begriff stigmatisiert am freundlichsten?
Tolleranz oder Toleranz
Vorab: Ich bin schwerhörig, also behindert, also darf ich schreiben, was ich will, ohne diskriminierend zu sein, oder? ;P
Wenn ich mich zwischen den beiden Möglichkeiten entscheiden müsste, wäre ich für „behinderter Mensch“. Es ist unkomplizierter. Aber warum darf man nicht einfach „Behinderter“ sagen? Wir sagen doch auch Frau und Mann statt „weiblicher Mensch“ (oder natürlich „Mensch mit Menstruationshintergrund“ ;)) und „männlicher Mensch“, wir sagen Kind/Jugendlicher und Erwachsener statt „minderjähriger Mensch“ und „volljähriger/erwachsener Mensch“. In diesen Fällen werden Menschen beschrieben, ohne das Wort „Mensch“ zu erwähnen. Trpztdem fühlt sich niemand davon beleidigt.
Darauf zu bestehen, im Zusammenhang mit Behinderungen immer „Mensch“ zu sagen, impliziert meiner Meinung nach, dass es erwähnt werden muss, dass auch Behinderte Menschen sind. Das sollte aber selbstverständlich sein. Natürlich gibt es immer Idioten und „behindert“ wird oft als Beleidigung benutzt, trotzdem halte ich nicht viel von dieser gezwungenen politischen Korrektheit. Irgendwie finde ich, dadurch bekommen die Leute den Eindruck, eine Behinderung sei etwas, das man auf keinen Fall nebenbei erwähnen darf und über das man nicht offen reden kann, weil es ja kaum Worte gibt, die man dafür noch hernehmen darf.
Sicher, es ist alles gut gemeint, ich finde es aber wenig wirkungsvoll …
Übrigens kann ich auch mit dem Begriff „Handicap“ nicht viel anfangen. Wofür dieses seltsame Wort? Und wenn man es als Adjektiv verwendet, wird es noch schlimmer. „Gehandicapt“? Das klingt doch – entschuldigung – behindert. xD
Hallo Lilly macht schon aufmerksam auf die „Wortspielereien“ der „Normies“,als Behinderte Menschen haben wir,auch ich bin schwerbehindert durch einen französischen Trinker,haben wir das Recht den Mund aufzumachen!Selber „leide“ ich am heftigsten durch das Recht auf Rente!Die D R V verweigert mir Übergangsgeld bei einer Beschäftigung in der G W N einer Firma für Behinderte!
Hilfe bekam ich i.d.Fall bisher gar keine!Einige Mitarbeiter und Gruppenleiter in der G W N sind solidarisch,zucken aber nur die Schultern über die Aktivität der D R V in meinem Fall,eine zu „mächtige“ Organisation………..!
Christof Bieker
P.S:mein alter PC ist defekt,E-mail Schaden Invalidenrente unzureichend zur Reparatur……….“habe doch genug trockenes Brot“
das Leben geht halt weiter oft ohne Veränderungen!
Ich könnte in diesem Zusammenhang auf den Begriff Behinderung komplett verzichten. Einzig das deutsche Leistungsrecht (SGB IX)macht ihn wirlich notwendig, weil man nach einem klar umgrenzten Begriff von Behinderung Leistungen erhält oder eben nicht. Das Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderung hat den Begriff leider gerade ein weiteres mal einzementiert, wohingegen sich das neue Pflegegesetz erfreulicherweise an Umständen und nicht persönlichen Merkmalen orientiert. Wenn Leistungen grundsätzlich denen zustünden, die sie – aus welchen Gründen auch immer – benötigen (wer sagt, dass Behinderung der einzige Grund sein muss, um Eingliederungshilfe im Rahmen der Schulbildug zu erhalten?), dann würde es ab sofort reichen, konkrete Umstände (Querschnittslähmung, Blindheit, Gehörlosigkeit, Kleinwuchs) bei Bedarf konkret zu benennen und dabei trotzdem nicht von Behinderung zu sprechen. Ob und was einen nämlich behindert, ist für jeden verschieden und beginnt weder, noch endet es für jeden an ein und derselben Definitionsgrenze.
Ich persönlich sage mensch mit handicap. Obwohl dass aus dem englischen sprachgebrauch stammt, fühlen sich betroffene also bhinderte menschen damit offensichtlich wohler. Denn seien wir normalis ehrlich hat doch jeder ein handicap. Warum sagt man psychisch krank. Ich nenne es seelisch verletzt. Oft macht der ton die musik.
Deine Überschrift ist ein unübertroffenes Kondensat. Sprachwissenschaftler erkennen das, andere retten sich mit Humor. Dann bleibt noch die Klasse der Blockwarte, die da keinen Spaß verstehen, weil sie selbst mal jemanden gesehen haben, der erzählte, wie einer mal vorbeikam, der irgendwie so den Eindruck gemacht hat.
Jede Form installierter Normative, ob nun Auto-Slogan, Wahlwerbung oder Staatsdoktrin ist zum Glück auch den Eigenheiten der Sprache unterworfen und das meiste gerät nun eben mal in Vergessenheit.