Oder wie man einen Rollstuhl „hackt“.

Ein gut angepasster Rollstuhl ist wie ein eigenes Körperteil. Wenn ich meine Hüfte beispielsweise nach rechts drehe, dreht sich auch mein Rollstuhl, ohne dass ich dafür die Hand an die Greifringe legen muss.

Christiane Link – ZEIT Online (17.05.2015)

Menschen die zur Fortbewegung auf Hilfsmittel angewiesen sind, verbringen mit keinem Menschen und keinem Objekt mehr Zeit als mit ihrem Rollstuhl oder ähnlichen Hilfsmittel. Sie sind – sprichwörtlich – unsere Arme und Beine. Sie sind ein Teil von uns. Aber sie gehören uns nicht. Denn obwohl Rollstühle existenzielle Funktionen meines Körpers übernehmen und auch Teil meines Ausdrucks / meiner Persönlichkeit sein können, gehören sie nicht den Seelen, deren Äußeres sie bilden.

Hilfsmittel werden in Deutschland von den gesetzlichen Krankenversicherungen an die Versicherten nur verliehen.1 Sie befinden sich weiter im Besitz der Krankenkassen. Ein Teil von mir befindet sich im Eigentum einer Körperschaft des öffentlichen Rechts: Keine angenehme Vorstellung.

Diese Systematik hat aber auch ganz praktische Konsequenzen. Da „motorisierte Krankenfahrstühle“2 zur Gruppe der Kraftfahrzeuge gezählt werden, versuchen Krankenkassen vermehrt um die Kostenübernahme eines Rollstuhls herum zu kommen, indem sie von den Betroffenen Fahrtauglichkeitsprüfungen aka medizinisch-psychologische Begutachtungen beim TÜV verlangen.3 Neben dieser sehr eigenwilligen Perspektive des deutschen Rechts und der Krankenkassen auf Rollstühle, gibt es ja aber auch noch den MDK und „externe Begutachter“, die hin und wieder Rollstühle lieber mit Porsche Cayennes und Opel Zafiras vergleichen.4

Im Allgemeinen haben die Krankenkassen die Pflicht, Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die auch tatsächlich eingesetzt werden können. Dies schließt ein, dass sie sicher zu führen sind. Hier gehen nun Krankenkassen besonders vorsichtig vor, denn dieser Bereich berührt Haftungsfragen. Normalerweise werden Elektro-Rollstühle daher nur mit einer Geschwindigkeit bis 6km/h an Versicherte übergeben. Auch weitere Parameter wie Wendegeschwindigkeit, Lift-Funktionen usw. werden teils zur Unbrauchbarkeit limitiert. Da sich die Rollstühle weiter im Besitz der Krankenkassen befinden, dürfen aber auch nach Übergabe vom Nutzer nur dann Veränderungen vorgenommen werden, wenn vorher eine Zustimmung von der Krankenkassen eingeholt werden konnte. Das ist z.B. dann besonders problematisch, wenn Kraftknotenpunkte oder USB-Ladefunktionen auf eigene Kosten nachgerüstet werden sollen.

Mein Rollstuhl: Eine ALDI-Kasse

Das alles führt in der Praxis dazu, dass das Gerät, welches Funktionen meines Körpers übernehmen soll, dies nur stark eingeschränkt tun kann und von mir – obwohl es quasi ein Teil von mir ist – nicht verändert werden darf. Jemand der noch nicht längere Zeit in einem E-Rollstuhl verbracht hat, wird es sich wohl nur schwer vorstellen können, aber wenn man sich nicht beeilen können darf, sich „im Stehen“ nur in Zeitlupe umdrehen kann oder bei jeder Positionsveränderung der musikalischen Prosa einer ALDI-Kasse beiwohnen muss, dann ist das nicht nur nervig, sondern manifestiert Behinderung.

Aber auch die Hersteller von Rollstühlen sind wenig kooperativ. Sie verbauen proprietäre Hard- und Software um ein Verändern zu erschweren, selbst dann, wenn wie in anderen Ländern Menschen mit Behinderungen die Geräte tatsächlich selbst erwerben. Stellen Sie sich einmal vor, der Hersteller Ihres Fahrrads würde eine Funktion einbauen, die Ihr Fahrrad immer auf max. 6km/h herunter bremst und es vollständig zum stehen bringt, wenn sie es seiner Meinung nach unsachgemäß benutzen, wie beispielsweise einen steilen Mountain-Bike-Hang herunterfahren.

Seit ich 8 Jahre alt bin, sitze ich in E-Rollstühlen. Wie ein normaler Körper auch, sind sie mit mir mitgewachsen. Auch ihr Äußeres hat sich von mit Aufklebern übersäten Ferrari-Rot-Rollis bis zu unauffälligen „Schwarz-steht-immer“-Begleitern entwickelt. Ich weiß ganz genau, was ich brauche, was mein Rollstuhl kann und wie stark ich ihn strapazieren kann. Ich benötige weder einen Rollstuhl-Hersteller, der mir nicht einmal das Abschalten des akustischen Tasten-Feedbacks an- und abschalten lässt (selbst die ältesten Nokia-Ziegel konnten das) noch Krankenkassen, die meinen, Behinderte dürften es eh nie eilig haben.

Es wird Zeit, Rollstühle als Teil der Personen zu betrachten und diesen daher auch solche Rechte und Möglichkeiten zu zusprechen, wie es jeder Mensch an seinem Körper hat. Solange das nicht der Fall ist, sind meinem Rollstuhl Ketten angelegt.5


Rollstuhl-Programmieren

Da das aber derzeit nicht der Fall ist, muss es anders gehen, was mich zu meinem eigentlichen Anliegen führt:

Die meisten E-Rollstühle erhalten ihre Steuerungsmodule von einer handvoll Herstellern. Einer von ihnen ist die Curtiss-Wright Industrial Group, die unter dem Produktnamen R-NET die Joysticks und elektronischen Module für Hersteller wie Permobil, Sunrise Medical usw. liefert.

LCD-Display in einer Rollstuhl-Steuerung. Auf dem Display ist ein Menü angezeigt: Zeit einstellen. Zeit anzeigen. Entfernung. Hintergrundbeleuchtung.
Endnutzer-Menü

Dessen Joystick-Module mit LCD Display haben ein eingebautes Menü, welches auch für Endnutzer zugänglich ist. Dieses bietet aber keine nennenswerten oder sinnvollen Funktionen an. Man erreicht es, indem für wenige Sekunden die Tasten zur Regulierung der Maximalgeschwindigkeit (die beiden zwischen den Blinker-Tasten) gleichzeitig gedrückt werden.

Es gibt aber noch zwei weitere Einstellungsmöglichkeiten. Die weitestgehenden Einstellungen sind OEMs vorbehalten. Diese Einstellungen können nur mit einem sogenannten OEM-Dongle, dem Verbinden mit einem PC und spezieller Software bearbeitet werden. Das ganze sieht dann so aus:

Screenshot einer Software-Oberfläche im Stil eines Tabellenprogrammes.
R-Net Progammier-Software

Dazwischen gibt es ein sogenanntes Dealer-Menü. Dieses ist für Sanitätshäuser und andere Lieferanten gedacht, die den Rollstuhl an die Bedürfnisse des Nutzers anpassen können. Dieses ist sowohl über eine Software, als auch über eine Tastenkombination auf dem LCD-Display des Joysticks selbst abrufbar. Leider ist dieses OBP-Menü meist deaktiviert. Ist es freigeschaltet, kann es mit folgender Tastenkombination aufgerufen werden:

Im ausgeschalteten Zustand drück man gleichzeitig Power + Hupe solange bis der Rollstuhl angeht und nach dem normalen „Start-Geräusch“ ein weiteres kurzes Piepen zu hören. Ab diesem Zeitpunkt kann die Hupen-Taste losgelassen werden. Weiterhin muss der Power-Button gedrückt werden. Nach einem weiteren kurzen Moment piepst der Rollstuhl erneut. Die Taste kann losgelassen werden. Es öffnet sich ein neues Menü:

LCD-Display in einer Rollstuhl-Steuerung. Auf dem Display ist ein Menü angezeigt: Geschwindigkeiten. Fahren. Steuerungen. Dauerkontakt. ISM Verstellmotoren.
OBP-Menü

Aber auch wenn dieses Menü deaktiviert sein sollte, kann man mit einem Dongle das Menü aufrufen. Leider sind diese Dongles in Deutschland nicht frei verkäuflich und sind – wenn überhaupt – nur für Sanitätshäuser und andere Lieferanten zu erwerben. Auch der Hersteller verkauft sie nicht an Endnutzer, selbst dann nicht, wenn man nachweist, dass einem der Rollstuhl (im Gegensatz zur gewöhnlichen Situation in Deutschland) selbst gehört.

In anderen Teilen der Welt sind Händler von Medizin- und Rollstuhl-Komponenten zum Glück nicht so gehemmt. Der Preis von über 400 € + Versand und Importzöllen schreckt allerdings ab.6 Anyway: Ich bin im Besitz eines solchen Dongles mit samt Software und Verbindungskabel zu einen PC.

Dongle-Verleih

Wer auf eigene Gefahr und dem Wissen, dass er gegebenenfalls Ansprüche und Rechte bei der Krankenkasse verliert bzw. mit falschen Einstellungen auch tatsächlich Gefahrensituationen und Defekte hervorrufen kann, Einstellungen an einem passenden Rollstuhl vornehmen möchte, dem biete ich das Dongle zum Leihen7 an. Dafür erhaltet ihr alles, was „nötig“ ist um zumindest die wichtigsten Einstellungen an Eurem Rollstuhl ändern zu können.8 Prüft aber bitte vor Kontaktierung, ob Euer Rollstuhl wirklich eine R-Net LCD-Steuerung besitzt.

Schwarze Box mit drei LEDs und zwei Kabeln die links heraus ragen. Aufschrift auf der Box: Curtiss-Wright.
Dealer-Dongle
  1. Fallpauschalengeräte bleiben im Eigentum des Lieferanten.
  2. Solche Bezeichnungen haben im 21. Jahrhundert nichts mehr zu suchen und sind Ausdruck der völlig falschen und medizinisch geprägten Perspektive auf Rollstühle.
  3. Kein Witz! Quelle: BVKM.
  4. Quelle: ARD Panorama
  5. Nicht mit dem dämlichen Spruch „Er ist an den Rollstuhl gefesselt“ zu verwechseln. Das Eine sieht den Rollstuhl als Teil des Menschen, der ihn befähigt, der Andere reduziert auf einen angeblichen Mangel/Behinderung.
  6. Southwest-Medical ist einer dieser Händler.
  7. 50 € Leihgebühr + 50 € Pfand + Kopie von Eurem Ausweis.
  8. Manche Einstellungen können selbst mit dem Dongle nicht geändert werden. Dies ist abhängig von den sogenannten OEM-Einstellungen. Bei manchen Rollstühlen können diese mit einem Trick aber auch mit dem Dealer-Dongle geändert werden. Welche das sind, kann ich leider nicht im Voraus sagen.
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