Bei Inklusion denken die meisten Menschen an unnötige Schulreformen oder zu wenig Lehrpersonal. Vielleicht geht der eine oder andere auch noch einen Schritt weiter und versteht, dass auch Inklusion in der Arbeitswelt ein Thema ist. Ich aber will heute über eines der lästigsten Themen sprechen: Werbung!

Wie stark eine Zielgruppe von Unternehmen umworben werden ist ein guter Indikator für deren Stellung in der Gesellschaft. So schreibt Andrea Niemann in „Werbung als Indikator sozialen und kulturellen Wandels“: „Ein Blick in die Werbung verrät viel über das jeweilige Lebensgefühl der Zeit, über allgemeine Werte und Normen sowie über den wirtschaftlichen und technischen Stand einer Gesellschaft. […] Das Werbesystem importiert auf diese Weise Kommunikationsmöglichkeiten aus anderen Sozialsystemen und übersetzt sie unter seinen eigenen Systembedingungen in Werbekommunikationen. Dabei werden nicht alle Sozialsysteme bzw. alle Bereiche der anderen Systeme gleichermaßen beobachtet und berücksichtigt. Der Beobachtungsschwerpunkt liegt vermutlich in den Bereichen Warenkonsum, Dienstleistungen, Geschmackskultur und Lebensstilgestaltung.“

Was bedeutet es jetzt also, wenn eine Zielgruppe praktisch nicht umworben wird? Man könnte auf die Idee kommen, dass es schlicht keine Produkte für diesen Teil der Gesellschaft gibt. Das ist aber erkennbar nicht der Fall. Übrig bleiben zwei Antworten, die beide Probleme suggerieren, die wir auch in anderen Bereichen der Behindertenpolitik wahrnehmen können:
Zunächst sei die vermeintliche ökonomische Schwäche behinderter Menschen zu nennen. Eine Spezialisierung auf Zielgruppen erfolgt aus Sicht von Unternehmen vorrangig dort, wo sie lohnenswert und nötig ist. Alltagsprodukt eignen sich selten für eine zielgerichtete Bewerbung bei speziellen Zielgruppen. Sie werden möglichst breit umworben. Es bleiben also noch jene Produkte übrig, bei denen durch eine Spezialisierung die Absatzpotenziale deutlich erhöht werden können oder eine hoher Wettbewerb stattfindet. Diese sind aber meist in ihrer Preisgestaltung für Menschen mit Behinderungen nicht erschwinglich. Eine zielgerichtete Werbung bei der Zielgruppe behinderter Menschen würde die Absatzpotenziale also kaum erhöhen.
Und was ist mit Produkten, bei denen ein hoher Wettbewerb stattfindet? Einerseits gibt es, auf die Zielgruppe behinderter Menschen bezogen, gar nicht so viele Alternativen eines Produktes, wie man denkt. Der Konsument kann also kaum eigene Marktmacht ausüben. Andererseits, und damit sind wir beim zweiten Problem angelangt, liegt es an den beschnittenen Entscheidungsrechten behinderter Menschen. Wenn der Konsument nicht auf Grund von Produkteigenschaften entscheiden darf, sondern, wenn überhaupt, der Preis den Ausschlag ergibt, dann hat das auch Auswirkung auf die Werbetätigkeit und die Gestaltung von Produkten. Bei Hilfsmitteln entscheidet beispielsweise die Krankenkasse – nach Kassenlage. Unternehmen müssen zunächst diese überzeugen und erst sekundär den eigentlichen Nutzer der Produkte. Ähnliches gilt bei Menschen mit gesetzl. Betreuern, die Konsumentscheidungen zustimmen müssen.

Bleibt festzuhalten: Die politisch verursachte schlechte ökonomische Stellung behinderter Menschen (Stichwort Werkstätten, Arbeitsmarkt und Einkommens- und Vermögensanrechnung), sowie die beschnittene Entscheidungsgewalt wirkt nicht gerade motivierend für Unternehmen, sich dieser Zielgruppe anzunehmen.

Das soll aber keinesfalls ein Freifahrtsschein für die Wirtschaft sein. Es gibt nämlich selbstverständlich auch Produktkategorien, in denen der Konsum behinderter Menschen vergleichbar mit dem Durchschnitt der Bevölkerung ist und trotzdem keine zu erwartende Ansprache durch Werbung stattfindet. Dies ist beispielsweise bei Dienstleistungen (Gastronomie und Freizeitgestaltung) und teilweise der Technologie-/ Digitalbranche der Fall.
Ich hatte in diesem Zusammenhang bereits das Negativbeispiel McDonalds erwähnt, welches durch das feste Verankern von Stühlen in ihren Filialen massive Zugangshürden für behinderte Kunden aufbaut. Es gibt aber auch positive Beispiele, sogar aus der gleichen Branche. Meine hiesige KFC-Filiale bemüht sich vorbildlich um behinderte Kunden, spricht diese aktiv auf ihre Bedürfnisse an und wirbt so aktiv um Stammkunden. Leider ist dies die absolute Ausnahme. Und auch die Politik tut wenig um an diesem Zustand etwas zu ändern. Erst dieses Jahr verweigerte die Große Koalition eine Gesetzesänderung, nach der die Privatwirtschaft zumindest zu räumlicher Barrierefreiheit bei Neubauten gezwungen worden wäre. Es hätte ein erster kleiner Schritt sein können.

Fazit: Politik hat es bisher versäumt behinderte Menschen in die Lage zu versetzen ihre Marktmacht als Konsumenten aufzubauen und zu nutzen. Gleichzeitig scheinen sich viele Unternehmen entweder dieser Zielgruppe nicht bewusst zu sein oder erachten die Aufwendungen zur Spezialisierung ihrer Produkte oder dem Umwerben dieser Zielgruppe als lohnenswerte Investition. Wie es anders geht zeigte übrigens Apple bei der letzten Keynote: Das erste, was die versammelte Technologie-Journalie zu sehen bekam, war ein Werbefilm für behinderte Menschen über die Nutzbarkeit der Apple-Produkte. Das ist nur das visuelle Ergebnis der führende Rolle Apples in der Herstellung von barrierearmen Produkten und ist in diesem Segment führend. Schade, dass Apple in diesem Bereich, kaum Konkurrenz zu fürchten hat.
Menschen mit Behinderungen wollen genauso umworben werden wie andere Menschen auch. Es zeigt, dass man als Kunde mit Bedürfnissen und eigener Entscheidungskompetenz wahrgenommen wird. Das ist das genaue Gegenteil von der heute oft vorkommenden Mentalität, nach der nur aufgrund von Vorschriften oder Charity-Gedanken an Menschen mit Behinderungen „gedacht“ wird.

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