Wolfgang Schäuble, Finanzminister und einer der wenigen deutschen Politiker mit einer sichtbaren Behinderung, forderte vor wenigen Tagen die Erhöhung der sogenannten Ausgleichsabgabe.

Diese solle nach seinem Vorschlag verdoppelt werden. Unternehmen müssten dann statt derzeit durchschnittlich 2.000 €, 4.000 € zahlen. Schäuble erhofft sich davon einerseits eine bessere finanzielle Ausstattung der Integrationsämter, welchen die finanziellen Mittel zugute kommen, andereseits einen größeren Druck auf Unternehmen, mehr behinderte Menschen einzustellen, was nicht zuletzt auch den Staat bei der Sozialhilfe entlasten würde.

Ausgleichsabgabe
Die sogenannte Ausgleichsabgabe müssen Unternehmen in Deutschland bezahlen, die nicht eine gewisse Anzahl von behinderten Menschen beschäftigen. Die Höhe der zu beschäftigen behinderten Menschen richtet sich dabei nach der Größe des Unternehmens, gemessen an der Anzahl der Gesamtbeschäftigten. Derzeit liegt diese Strafzahlung im Schnitt bei 2.000 € im Jahr je fehlendem schwerbehinderten Beschäftigten.
Das eingenommene Geld verwendet der Staat vornehmlich um andere Unternehmen, welche behinderte Menschen einstellen, zu unterstützen. Dabei geht es beispielsweise um die behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes oder Ausgleichszahlungen für Fehlzeiten.

Die ersten Reaktionen reichten von „das immer noch viel zu wenig – diese bösen Unternehmen müssen mehr zahlen“ bis hin zu:

„Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen wertete dies als positives Signal für die anstehenden Abstimmungen zum Bundesteilhabegesetz.“ – kobinet-nachrichten.org

Beides sind meiner Meinung nach völlig falsche Einschätzungen. Das Schäuble mit dieser Aussage tatsächlich ein Signal zu den anstehenden finalen Beratungen zum Teilhabegesetz senden wollte, scheint unwahrscheinlich. Nicht nur weil dieser eine Punkt recht unbedeutend im Reformparket ist, sondern vor allem weil es politisch die einfachste Tätigkeit ist. Ein Anheben der Ausgleichsabgabe löst nämlich keine der derzeitigen Probleme. Im Gegenteil, das Arbeitspapier zu diesem Punk der Arbeitsgruppe im Bundesministerium für Arbeit und Soziales hält fest:

Eine Anhebung der Ausgleichsabgabe (heute 115/200/290 Euro monatlich) und/oder der
Beschäftigungspflichtquote (heute 5 Prozent) würde die Wirtschaft belasten, die derzeit
besondere Anstrengungen unternimmt, Arbeitgeber, die trotz Beschäftigungspflicht keine
schwerbehinderten Menschen beschäftigen, zu erreichen (Projekt Wirtschaft Inklusiv).

[…]

Welche Auswirkungen eine Anhebung der Ausgleichsabgabe hat, hängt insbesondere
davon ab, inwieweit sich Unternehmen durch den erhöhten Abgabesatz motivieren lassen,
schwerbehinderte Menschen einzustellen. – 3. Sitzung der Arbeitsgruppe; Arbeitspapier S. 11, 12

Selbst wenn Arbeitgeber gewillt sind und einen schwerbehinderten Mensch einstellen möchten, so erhalten diese noch immer nicht ausreichende Hilfe. Dabei geht es zunächst nicht vordringlich um finanzielle Hilfe. Derzeit gibt es keine zentrale Ansprechpartner für Unternehmen. Nicht selten müssen unzählige Anträge an unterschiedlichste Ämter und Institutionen eingereicht werden. Für größere Unternehmen sollte und ist das kein Problem. Diese haben genug Ressourcen um zusätzliche Aufgaben in der Personalführung kompensieren zu können, zumal besonders die Big-Player schon heute die Quote meist erfüllen. Zielsetzung müsste sein, kleine und mittelständische Unternehmen besser zu unterstützen. Diese haben nicht selten eben gerade nicht eine Kompensationsmöglichkeit was die Ressource Zeit und Aufwand angeht. Hinzu kommt die Problematik, eine geeignete schwerbehinderte Person zu finden. Damit soll nicht gemeint sein, dass es für bestimmte Branchen und Berufsfelder keine passende,* schwerbehinderte Arbeitnehmer gäbe. Allerdings gibt es kaum zentrale Mittelspersonen, die einen Überblick über sämtliche schwerebehinderten Arbeitnehmer einer Region haben. Die Behindertenwerkstätten können dies nur für sich haben und verfolgen zudem nicht selten die Strategie, gerade die Schwerbehinderten mit dem größten Potenzial selbst zu beanspruchen. Die Arbeits- und Jobcenter wiederum, sind viel zu schlecht ausgestattet um in einer großen Anzahl passgenaue Lösungen zu finden. Hinzu kommen eine Vielzahl von dritten Bildungs- und Rehabilitationsträgern.

All diese Probleme zeigen eben auch, dass die pure Anhebung der Abgabe keine Lösung sein wird, zumal selbst eine Verdoppelung einen wirklichen Inklusions-Boykotiere nicht überzeugen wird.

Ich will damit nicht sagen, dass es nicht richtig sein kann, die Abgabe zu erhöhen. Ganz im Gegenteil, ich finde das durchaus notwendig. Aber der Vorschlag des Herren Schäuble ist eben nicht mehr als eine Ablenkungspille. Es liegt maßgeblich in seiner Hand, ob das Bundesteilhabegesetz gut wird, oder nicht; für welche Maßnahmen Geld da ist und für welche nicht; welche Priorität das Reformpaket erhält.

Edit: Konnotation leicht verändert.

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