Eigentlich ist es gar kein Problem. Oder zumindest Keines, welches nicht jeder schon einmal hatte. Es ist ein klassischer Zielkonflikt in der Arbeitswelt:

Es geht um Kontrolle, Vertrauen und Zusammenarbeit. Nur, dass es hier nicht um Firmengeheimnisse und Strategien, sondern um ein Privatleben geht.
Ich spreche über den natürlichen Kampf bei der Arbeit mit und von sogenannter „persönlicher Assistenz“.

Was ist persönliche Assistenz

Kurz: „Persönliche Assistenz ist jede Art von Hilfe, die behinderte Menschen in die Lage versetzt, ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben zu führen.“ (Wikipedia)

Häufig werden die benötigten Hilfen durch sogenannte Assistenten geleistet, die den Betroffenen ständig begleiten und persönlich zur Seite stehen. Sie unterstützen diesen also sowohl im privaten, wie auch im öffentlichen Umfeld. Nicht selten teilt sich ein ganzes Team in Schichten die Arbeitszeit.

Wie die Meisten wissen dürften, sitze ich im Rollstuhl und benötige bei so ziemlich allen Dingen, die auch nur im Entferntesten körperlich ausgeübt werden, Unterstützung. Das fängt bei so lapidaren Hilfen wie dem Aufhalten von Türen an, geht über das Führen des Haushaltes bis hin zur täglichen Pflege und Wäsche. Kurzum: Den ganzen lieben langen Tag ist immer eine Person an meiner Seite um mir ggfs. bei einer Tätigkeit behilflich zu sein.

Das ist großartig. Es ermöglich mir nämlich ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu führen. Ich lebe in einer eigenen Wohnung, kann selber bestimmen wann ich wo gerne sein möchte, habe die Möglichkeit zu studieren und brauche keine Rücksicht auf die Belastbarkeit von Angehörigen nehmen. Genau diese Art der Umsetzung von benötigten Hilfen ist der krasse Gegenpart zu Hilfesystem in stationären Einrichtungen und der Entkoppelung von einer einzelnen Persönlichkeit. Ein Leben in einem Heim o.Ä., in dem ich meine „Lebenszeit“ an der „Arbeitszeit“ des dortigen Personals ausrichten müsste, käme für mich nicht infrage.

Und trotzdem gibt es ein großes Aber: Privatsphäre – denn die habe ich nicht.

An dieser Stelle setzt dann der altbekannte Kampf ein. Alles was ich tue und vor allem wie ich mich gebe, ist zumindest für das (wechselnde) Team aus Assistenten durchschaubar. Vielleicht achten Sie einfach mal darauf, was Sie zu Hause tun und was Sie Freunden, Arbeitskollegen oder sonst wem vorgeben zu tun. Oder schlicht, wie Sie zu Hause mit Ihren nähesten Angehörigen sprechen und wie mit Außenstehenden. Sie werden mit Sicherheit feststellen, dass Sie vielleicht nicht zwei Persönlichkeiten sind, aber dass Sie selbst zumindest verschiedene Schattierungen aufweisen. Das mag beim Zusammenleben mit der eigenen Familie kein Problem sein. Schließlich hat man eine ähnliche Sozialisierung, ähnliche Werte oder kennt den anderen schlicht so lange und hat eine so innige Beziehung, dass das kein Problem ist. Meine Assistenten sind aber nicht meine Angehörigen. Wir haben nicht immer die selbe Sozialisierung, nicht die selben Werte und schon gar nicht kennen wir uns lange genug oder haben gar eine innige Beziehung. Ganz im Gegenteil: Im Grunde haben wir oder sollten wir nur eine nüchterne Arbeitsgrundlage haben. Im Zweifel ist das einfach nur ein Job, den man annehmen kann, der einem aber auch gekündigt werden kann. Wer regelmäßig unpünktlich ist, der bekommt eine Abmahnung und wer sich sonstige Verfehlungen erlaubt, dem wird gekündigt.

Und doch geht es in diesem Beruf darüber hinaus. Natürlich lernt man sich näher kennen, wenn man tagtäglich über Monate oder Jahre hinweg die Zeit miteinander verbringt, sowohl die guten Seiten, wie auch die Schlechten oder die persönlichen Laster kennenlernt. Mit einem Unterschied: Die Assistenz kann sich grundsätzlich selber entscheiden, wie viel sie mir anvertraut. Ich kann das für gewöhnlich nicht.

Auf der einen Seite möchte ich Kontrolle darüber haben, wer was weiß. Ich bin nicht naiv. Natürlich erzählen die Personen, die bei mir arbeiten, zu Hause in der Familie von der Arbeit, also von mir. Damit muss ich leben, was aber nicht heißt, dass ich das akzeptieren muss. Wenn diese Personen das schon tun, dann bitte ohne mir das auf irgendeiner Art deutlich zu machen. Denn was noch viel schlimmer als der Kontrollverlust über die Privatsphäre ist, ist das Ständige erinnert werden.

Andererseits  will ich, was ich auch muss, meinen Assistenten vertrauen: Darauf, dass Sie a) zumindest gegenüber Dritten mein Privatleben verdeckt halten und b) dieses Wissen nicht gegen mich in einem solchen Sinne verwenden, als das sie mich von sich aus zu beeinflussen versuchen. Ich muss ihnen aber vor allem deswegen vertrauen können, um eine freundliche Arbeitsatmosphäre schaffen zu können. Wenn ich jemandem nicht vertrauen kann, dann bedeutet das vielleicht nicht sofort, wenn auch sehr wahrscheinlich, dass die Basis der „Zusammenarbeit“ aufgekündigt werden muss, aber ich kann eben nicht mehr mit dieser Person so umgehen, wie ich es gerne in freundschaftlicher Art tun würde.

Vielleicht bin ich der Einzige, dem das als ein immerwährender innerlicher Kampf vorkommt. Und natürlich habe Ich selber diesen in erster Linie auszutragen, weil Ich den Grenzverlauf zu bestimmen habe. Aber genauso vielfältig wie die Menschen sein können, die diese Hilfen benötigen, so vielfältig sind auch die Menschen, mit denen ich als Betroffener zu tun habe. Das Vertrauen kann nie in alle Personen gleich sein, also können es auch nicht die Grenzen sein. Und doch gilt es, zumindest meinem Ideal nach, niemanden anders zu behandeln.

Wie aber soll das gehen? Wie soll ich Allen gegenüber das gleiche Vertrauen entgegenbringen. Wie kann ich möglichst viel eigene Kontrolle erhalten ohne Vertrauensverhältnisse oder legere Arbeitsverhältnisse zu gefährden? Wie wird der Kampf ausgehen? Kontrollverlust oder förmliche / sachliche „Zusammenarbeit“?

 

 

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