Hier meine Rede anlässlich der diesjährigen PrideParade in Berlin, die ich im Namen von AbilityWatch halten durfte.
Außerdem möchte ich sehr dafür werben, sich auch den Redebeitrag von Rebecca Maskos zu Gemüte zu führen!


Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

es ist noch gar nicht so lange her, da standen genau hier viele von Euch und haben für ein gutes Bundesteilhabegesetz demonstriert. Hunderte hier in Berlin, Tausende in Deutschland und im Netz sogar Hunderttausende! Das war super, das war erfrischend und gerade heute zur PrideParade können wir mit Stolz auf diesen Protest zurückblicken!

Wir müssen uns aber auch fragen, was das gebracht hat. Wo stehen wir? Was hat sich verbessert? Ich glaube ihr werdet mir zustimmen, wenn ich sage: nicht viel. Was wurde uns nicht alles versprochen, welche Hoffnungen wurden uns nicht gemacht. Das Ergebnis mag für einige akzeptabel sein und für viele eine große Enttäuschung.

Wo ist denn die Selbstbestimmung?

Wo ist denn das Wunsch- und Wahlrecht?

Im Alltag finde ich es nicht! Ich muss auch an dieser Stelle mal sagen, wie sehr mich dieses Wort Wunschrecht nervt. Das sind doch keine Wünsche über die wir sprechen. Wir sind doch keine Kinder an Weihnachten. Es geht hier um Rechte und nicht um irgendwelche, sondern verbriefte Menschenrechte. Die wünsche ich mir nicht, die fordere ich hier und heute.

Ich hab‘ auch direkt eine wichtige Forderung. Nämlich das endlich der Wille von uns Betroffenen zählt. Es kann doch nicht sein, dass im Jahr 2017, noch immer Menschen gegen ihren Willen in Behinderten-Einrichtungen oder Altenheimen gehalten werden. Es kann doch nicht sein, dass noch immer Menschen Aufforderungen zum Suchen eines Heimplatzes bekommen oder ihnen damit gedroht wird, die ambulante Hilfe zu streichen. Nach einer großen Gesetzesreform, trotz einer UN-Behindertenrechtskonvention und einem angeblichen Wunsch- und Wahlrecht. Das kann doch nicht sein!

Viele haben mit Entsetzen den Wallraff-Bericht gesehen, indem unhaltbare und menschenunwürdige Praktiken in bestimmten Einrichtungen gezeigt wurden. Das ist wirklich furchtbar. Aber wenn wir ehrlich sind: Uns hat das doch nicht überrascht. Wir wissen doch alle aus eigener Erfahrung oder der Erzählung von Bekannten seit Langem um die Probleme. Und nicht nur wir wissen das, das wissen auch die Betreiber und Verantwortlichen. Ich empfinde es ehrlich gesagt als eine noch viel größere Respektlosigkeit den Betroffenen gegenüber jetzt so zu tun, als wäre man total erschüttert und würde unverzüglich Maßnahmen ergreifen. Das sind glatte Lügen! Diese Fälle sind doch nicht neu, nicht zum ersten Mal aufgetreten und es sind schon lange keine Einzelfälle. Schon das Wort Einzelfälle macht keinen Sinn. Wenn es mehr als ein Fall ist, dann ist das kein Einzelfall. Diese Situation in Heimen und Einrichtungen ist Systemimmanent. Die Strukturen sind falsch.

Die Vorsitzenden der Organisationen, die solche Einrichtungen betreiben, sind oft gleichzeitig hochrangige Politiker. Die Erbringer der Leistungen schreiben die Gesetze selber mit. Und am Ende übernimmt keiner Verantwortung, wenn das System dafür sorgt das Menschen brutalst behandelt werden. Wenn das alles so ist, dann will ich keine Sonntagsreden hören, dann will ich nicht hören das einzelne kleine Mitarbeiter entlassen werden, sondern dann will ich einen Systemwechsel und mindestens den Rücktritt der Heimleiter und Verantwortlichen!

Aber was ist denn passiert? Da werden Mitarbeiter eingeschüchtert damit sie Missstände nicht in der Öffentlichkeit bekannt machen. Da werden Eltern und Bezugspersonen nicht informiert. Und am Ende stellen sich die Einrichtungs-Betreiber als die Inklusionsmotoren in Deutschland dar. Ich finde wir müssen ab und an auch mal nach links und rechts in unseren eigenen Reihen gucken, wer hier die eigentlichen Motoren der Behindertenbewegung sind und wer die Bremsen.

Es ist mir in den letzten beiden Jahren so klargeworden. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass die Politik schon irgendwann was machen wird. Und wir dürfen uns erst recht nicht auf die verlassen, die seit Jahren von der aktuellen Gesetzeslage profitieren. Wir müssen selbst unsere Rechte einfordern.

Dieses Jahr werden wir von AbilityWatch gegen den Heimzwang kämpfen. Auch wenn ihr nicht oder noch nicht selbst betroffen seid, bitte unterstützt uns. Jeder Mensch hat das Recht selbst zu bestimmen wo und wie er leben möchte. Gerade die, die nicht für sich selbst sprechen können oder die schlicht von Politik und Gesellschaft nicht ernst genommen werden. Die brauchen ganz besonders unsere Unterstützung.

Also macht mit, unterzeichnet unsere Kampagne. Vor allem: Zeigt der Politik, dass all die Errungenschaften die wir über die Jahrzehnte erreicht haben, nicht die Werke der Politik waren, für die man Dankbarkeit zeigen müsste, sondern dass es die Ergebnisse unseres bunten, kreativen und hartnäckigen Protestes waren! Zeigt es hier und heute deutlich: Wir lassen uns nicht erzählen, dass wir ab und an einen Wunsch frei haben, sondern wir fordern das ein, worauf wir ein Recht und einen Anspruch haben: Selbstbestimmt und frei leben.

Vielen Dank!

 

Foto: (c) Vivien Cahn

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